Ein persönlicher Blick auf gestern und heute
Ich habe viele Facetten des Lernens und der Organisation von Lernprozessen erlebt und darin unterschiedliche Erfahrungen gesammelt. Ich war Schüler an einer Grundschule, irgendwann Gymnasiast, dann Student und irgendwann Lehramtsanwärter. Zusammengenommen sind das gut 20 Jahre, in denen ich „Empfänger“ von Bildungsangeboten war. Bildungsangebote, die mal passend und mal weniger passend für mich waren. Auf jeden Fall waren sie analog, lebensnah und in den besten Fällen durch soziale Interaktion begleitet und emotional berührend. Wie gesagt…in den besten Fällen. Vielfach bedeutete analog aber auch „trocken“, „wenig anregend“ und bei den Büchern, die im Gymnasium schon durch mehrere Klassen gewandert waren, „abgegriffen“. Hatte ich das Gefühl, damit einen Blick in die Welt von morgen zu erhaschen? Sicherlich nicht.
Erste (und einzige) Programmiererfahrungen der Schulzeit Basic
Im Gymnasium konnte ich mich im Informatikunterricht, der schon damals aufgrund von Fachlehrermangel, nur halbjahresweise angeboten werden konnte, an einer Programmieraufgabe in Basic erproben: Ein kleiner Roboter (ein blinkendes Kästchen) musste durch einfache Steuerbefehle „Mülltonnen leeren“ (in Wirklichkeit berührte das blinkende Roboterkästchen andere Kästchen und diese verschwanden dann). Was damals „state-of-the-art“ war, lockt heute wohl niemanden mehr hinter dem Ofen hervor – wenngleich die Systematik von Steuerungsbefehlen heute gar nicht so viel anders ist. Auch in meinem Studium wurde kein gesteigerter Wert auf die Annäherung an eine „digitale Welt“ gelegt. Es war aber auch noch die Zeit der piepsenden Internetmodems und meine Studienarbeiten erstellte ich auf einer elektronischen Schreibmaschine. Fehler konnte ich nur in einem kleinen Vorschauanzeige (ungefähr 30 Zeichen) entdecken. Was einmal gedruckt war, musste durchgestrichen, mit Tip-Ex überpinselt werden oder einfach neu getippt werden. Auch das ist heute kaum noch vorstellbar
Lehramtsausbildung ohne entscheidende Hinweise auf anstehende Entwicklungen
Die zweijährige Lehramtsausbildung brachte ebenso wenige konkrete Hinweise auf die kommenden Digitalisierung. Rückblickend fällt es mir schwer zu sagen, ob dies schon möglich gewesen wäre, oder ob der berühmte „Dornröschenschlaf“ des deutschen Bildungswesens der entscheidende Hintergrund für die Nicht-Beschäftigung war. Der Wechsel in die praktische Lehrtätigkeit und die spätere Übernahme von Schulleitungsaufgaben änderte dies für mich. Ich plante Informatikkurse, kaufte Klassencomputer und verargumentierte den Einsatz von Tablets in der Grundschule. Die unterschiedliche Bewertung von Computereinsatz war im Kollegium und in der Elternschaft gleichermaßen spürbar – entsprechend schwer war es, eine durchgehende Strategie zu entwerfen und diese auf das Fundament einer breiten Unterstützung zu stellen.
Seit 2020 rasende Entwicklungen! Segen oder Fluch?
Seit 2020 hat sich das Entwicklungstempo deutlich erhöht. Durch den Digitalpakt sind Laptops und PCs nun gängige Lernmittel an den verschiedenen Schulformen. Neben Hardware-Lösungen entstehen auch inhaltliche Ideen, wie Schule mit digitalen Medien erfolgreich gestaltet werden kann. Hier zeigen sich aber deutliche Unterschiede: Auf der einen Seite Kollegien und Schulleitung, die sich dem Thema öffnen und es aktiv angehen und auf der anderen Seite die, die hoffen, „das alles nicht so schlimm wird“. Viel zu viele Endgeräte liegen jetzt in Laptop-Schränken und werden aus Unwissenheit nicht bedient. Es zeigen sich auch regionale Unterschiede bei der Implementierung von digitalen Medien in Lehrplänen und Schulkonzept.
Wenn die Digitalisierung nur positiv wäre, gäbe es diese Unterschiede wahrscheinlich nicht so stark – es liegt also nahe, dass die Skepsis gegenüber einer digitalen Lernwelt eine Begründung hat. Viele Dinge, die das Lernen ausmachen, könnten in einer digitalen Zukunft verloren gehen: Feedback und ehrliche Resonanz durch eine menschliche Bezugspersonen; kreative Gedanken, die nicht schon durch eine Maschine in bestimmte Bahnen gelenkt worden sind; Intuition und der Umgang mit einer komplexen Gefühlswelt, Privatsphäre und vieles mehr. Gleichzeitig bietet die digitale Welt, und damit auch das digitale Lernen, viele Optionen, die bislang nicht da waren: weltweite Vernetzung; Zugriff auf Daten und Wissen in nie gekannter Größe; Abbau von Lernhemmnissen durch passgenaue Lernangebote und vieles mehr. Kein Wunder, dass eine eindeutige Zuordnung – Segen oder Fluch – schwer möglich ist.
Eindeutig ist aber, dass sich digitales Lernen weiterentwickeln wird, unsere Lebens- und Arbeitswelt im Jahr 2035 ganz anders aussehen wird und wir heute die Gelegenheit haben, uns zu entscheiden: Für ein aktives Gestalten auf der einen und die Abwehr / den Rückzug auf der anderen Seite.